Die Russisch Orthodoxe Kirche in Deutschland.

Im folgenden Beitrag beleuchtet der Diplomtheologe und Medienbeauftragte der Vertretung des Moskauer Patriarchats in Deutschland Nikolaus Thon die Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche in Deutschland: "Fern der Heimat den Wurzeln treu geblieben: Russisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland"(1995).


17. bis Anfang 20. Jahrhundert

Die erste Stätte im deutschen Sprachraum, an der regelmäßig orthodoxe Gottesdienste gefeiert worden sind, lag außerhalb des Territoriums des damaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Es war Königsberg, die Hauptstadt des Herzogtums Preußen, das heutige Kaliningrad, wo seit 1655 russische orthodoxe Gottesdienste stattfanden. Bald wurden dann auch an anderen Orten orthodoxe Kirchen eingerichtet, so 1718 in Berlin, als Zar Peter I. dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. eine Gruppe von 55 russischen Grenadieren für dessen Paradetruppe der "Langen Kerls" überließ.

Nachdem Breslau unter preußische Herrschaft gekommen war, gewährte König Friedrich II. im Jahr 1750 den dort lebenden "Kaufleuten aus der Ukraine, russischer Nation", "dass sie ihren Gottesdienst nach den Gebräuchen und Gewohnheiten der morgenländischen Kirche in einem zu solchem Behufe daselbst zu mietenden Hause einrichten und frei und ungehindert exerzieren und mit einem Priester und anderen benötigten Kirchenbedienten versehen mögen."

In den Beginn des 19. Jahrhunderts fällt die Entstehung der ältesten heute noch bestehenden russischen Gemeinde auf deutschem Boden. Es handelte sich dabei ursprünglich um eine Gruppe von 62 russischen Soldaten, die Zar Alexander 1. 1813 seinem Verbündeten im Kampf gegen Napoleon, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. als Grundstock eines russischen Militärchores geschenkt hatte. Für sie errichtete der preußische König 1826 eine eigene Siedlung mit Holzhäusern im russischen Stil, die Kolonie "Alexandrowka" bei Potsdam. Dort wurde auch eine Kirche zu Ehren des Heiligen Alexander von der Newa erbaut, die im September 1829 geweiht wurde.

In den nächsten Jahrzehnten wurden dann immer mehr russische orthodoxe Kirchen in Deutschland errichtet. Teilweise handelte es sich um Grabkirchen in Deutschland verstorbener orthodoxer Persönlichkeiten fürstlichen Standes, wie etwa bei der Kirche auf dem Rotenberg bei Untertürkheim in Württemberg, der 1861 erbauten "Griechischen Kapelle" auf dem Neroberg in der damaligen hessen-nassauischen Residenzstadt Wiesbaden und dem 1862 geweihten Gotteshaus in Weimar, die alle Mausoleen für in Deutschland verstorbene russische Großfürstinnen darstellen. Andere Kirchen dienten den russischen Gesandtschaften für ihre Gottesdienste, beispielsweise in Berlin in der Russischen Botschaft Unter den Linden, in Dresden (erbaut 1874) und in Stuttgart (erbaut 1895). Wieder andere wurden in Kurorten errichtet, in denen zahlreiche russische, aber auch reiche rumänische, bulgarische und griechische Gäste erwartet wurden. So entstanden in Preußen die Kirchen in Bad Ems (1876) und Bad Homburg vor der Höhe (1899), im Großherzogtum Baden in Baden-Baden (1882), im Königreich Bayern in Bad Kissingen (1901) und Bad Brückenau (1908) und im Großherzogtum Hessen in Bad Nauheim (1907).Die Errichtung wieder anderer orthodoxer Gottesdienststätten hing mit dynastischen Verbindungen zwischen dem russischen Zaren und deutschen Fürstengeschlechtern zusammen. Diese befanden sich daher auch zumeist in Schlössern, wie in Schwerin und Karlsruhe, jede in deren Nähe wie in Darmstadt, wo die 1899 erbaute kleine Kirche auf der Margarethenhöhe ein Geschenk des Großherzogs Ernst Ludwig an seinen Schwager, Zar Nikolaus II. und seine Schwestern, die russische Zarin Alexandra und die Großfürstin Elisaweta Fjodorowna, darstellt.

Obwohl die orthodoxen Gemeinden bei den meisten der genannten Kirchen nur sehr klein waren und selten mehr als einige Dutzend Mitglieder zählten, wirkten doch etliche bedeutende Persönlichkeiten zeitweilig als Geistliche in Deutschland, wie beispielsweise der Protopresviter Ioann Janyschew (1826 bis 1910), in den Jahren 1866 bis 1883 Rektor der St. Petersburger Geistlichen Akademie und von 1883 bis 1910 Spiritual der Zarenfamilie, oder der langjährige Berliner Gesandschaftsgeistliche Probst Erzpriester Alexi von Maltzew (1854 bis 1916). Dieser hat eine bis heute in Hinblick auf Vollständigkeit und praktische Anordnung unübertroffene vielbändige Ausgabe der liturgischen Texte der Orthodoxen Kirche in deutscher Sprache, oft mit russisch-kirchenslawischem Paralltext, herausgegeben und somit die Basis für die Feier des russisch-orthodoxen Gottesdienstes in deutscher Sprache gelegt.

Die 2 Weltkriege

Die Aufbauarbeit Probst von Maltzews, der sogar den Rektorstuhl der St. Petersburger Akademie und den Bischofssitz von Nordamerika ausgeschlagen hatte, um in Deutschland bleiben zu können, wie auch anderer russischer Geistlicher wurde durch die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland vom 1. August 1914 abrupt unterbrochen. Während der Kriegsjahre kam das russische Gemeindeleben in Deutschland dann allenthalben zum Erliegen.

Demgegenüber stieg nach der Oktoberrevolution in Russland und der Machtergreifung der Bolschewisten beziehungsweise durch den nachfolgenden Bürgerkrieg die Zahl der Emigranten aus dem ehemaligen Russischen Reich in kürzester Zeit rapide an. So verzeichnete der Völkerbund 1923 rund 600 000 Emigranten aus dem ehemaligen Russischen Reich in Deutschland. Diese lebten allerdings meist an Orten oder in Gegenden, die mit orthodoxen Kirchen unterversorgt waren: Nicht die feudalen Kurorte der Vorkriegszeit vermochten die verarmten Emigranten zu beherbergen, sondern die Elendsviertel der Großstädte. Infolge der instabilen Wirtschaftslage verringerte sich zwar die Zahl der russischen Flüchtlinge im Deutschen Reich bald schon wieder, und bereits Mitte der Zwanziger Jahre zogen viele der russischen Emigranten weiter nach Frankreich, in die Tschechoslowakei, in die USA oder nach Südamerika. Eine nicht unerhebliche Anzahl russischer Flüchtlinge blieb jedoch, so dass durchaus an etlichen Orten ein Bedarf an der Gründung neuer orthodoxer Gemeinden bestand. Die meisten Emigranten waren aber viel zu arm, um sich neue eigene Kirchenbauten leisten oder auch nur den Unterhalt von angemieteten Räumen in repräsentativen Gebäuden und die Bezahlung der Geistlichen gewährleisten zu können. So existierten vor dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen noch die gleichen Kirchenbauten wie vor dem Ersten. Lediglich in München, Augsburg, Breslau, Hannover-Linden und Danzig wurden russische orthodoxe Gemeinden gegründet, die jedoch über keine eigenen Kirchengebäude verfügten.

Die heutige Lage

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion und der Öffnung der Grenzen änderte sich allerdings diese Zahl in kürzester Zeit wieder: Binnen weniger Jahre kamen schätzungsweise an die 80 000 getaufte russische orthodoxe Christen nach Deutschland, von denen allerdings viele noch keine engere Bindung an die Kirche entwickelt haben. Etliche prägen jetzt das Leben der Gemeinden und haben dort eine echte Wiederbelebung des Gemeindelebens bewirkt, denn zum einen handelt es sich überwiegend um jüngere Menschen, zum anderen ist ihre Bindung an das Heimatland viel enger als bei den alten Gemeindemitgliedern aus der Emigration. So sind an etlichen Orten inzwischen neue lebendige Pfarreien mit Sonntagsschulen und Sozialeinrichtungen entstanden.

Der neuen politischen Entwicklung in Deutschland hat das Moskauer Patriarchat Rechnung getragen, indem es die drei Diözesen in Deutschland im Dezember 1992 zu einer einzigen Berliner Diözese der Kirche zusammengefasst hat, vom Senator für kulturelle Angelegenheiten in Berlin 1992 der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen worden ist. Erster Vorsteher der vereinten deutschen Diözese wurde Erzbischof Feofan (Galinski). Die bisherige Diözese von Düsseldorf wurde zur Ständigen Vertretung der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats in Deutschland erhoben. Ihr ist die Wahrnehmung aller Angelegenheiten von Kontakten zu kirchlichen, staatlichen, sozialen und anderen vergleichbaren Institutionen in Deutschland übertragen worden. Als Ständiger Vertreter amtiert der frühere Bischof von Düsseldorf Erzbischof Longin (Talypin) von Klin.

In einigen Gemeinden des Moskauer Patriarchats werden trotz der deutlichen Zunahme der russischsprachigen Gläubigen weiterhin nicht nur russischem sondern auch deutsche Gottesdienste gefeiert, denn viele Gemeinden sind multinational zusammengesetzt. Etwa die Hälfte der Geistlichen sind Deutsche. Die Zeitschrift der Berliner Diözese "Stimme der Orthodoxie" wird in deutscher Sprache publiziert, der Kurier der Düsseldorfer Vertretung "Pokrow" hingegen überwiegend in Russisch.